Hans Magnus Enzensberger († 24.11.2022)
Der große Dichter Hans Magnus Enzensberger, geboren am 11. November 1929 in Kaufbeuren, ist am 24. November 2022 in München verstorben. Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ihr Department Germanistik und Komparatistik trauern um ihren berühmten Alumnus – einen intellektuell stets herausfordernden, ästhetisch überzeugenden und überaus inspirierenden Schriftsteller. Er prägte wie wenige andere die Kultur der deutschen Nachkriegszeit bis heute. Enzensberger hat als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes Mitte der 1950er Jahre in Erlangen Germanistik und Philosophie studiert und wurde hier mit einer Studie über die Poetik des Romantikers Clemens Brentano promoviert (erschienen 1961). Verdienste erwarb er sich um die so genannte Studiobühne, das bis heute bestehende Erlanger Experimentiertheater des Instituts für Theater- und Medienwissenschaft. Vor einigen Jahren erinnerte sich Enzensberger in einem Schreiben an den Alumniverein Germanistik mit gemischten Gefühlen an seine frühen Erlanger Studienjahre: „Damals in Erlangen – das ist unvorstellbar lange her; unvorstellbar für alle, die heute an einer deutschen Universität studieren. Die Institution war klein und ein wenig schäbig […]. Um der Langeweile zu entrinnen, gab es einen Notausgang. Das war die Studiobühne […]. Dort fanden sich die Unzufriedenen ein und durften machen, was sie wollten – Kulissen malen, Plakate aufhängen, Regie führen, Ghelderode oder Goethe oder Ionesco spielen. […] Ansonsten ließ man uns in Ruhe. Zumindest in der philosophischen Fakultät wurde man nicht, wie heute, am Kälberstrick geführt. Wir hatten alle kein Geld, aber jeder durfte es, ein paar Jahre lang, treiben, wie es ihm gefiel. Das war das Beste an der altmodischen und etwas verschnarchten Universität der fünfziger Jahre.“ Spätestens seit 1968 mit seinen Statements im Kursbuch (legendär: Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend) und seinem Einsatz für die Studierendenbewegung gehörte er zu den wichtigsten Stimmen einer engagierten, einer kritischen und einer bewusst politischen Literatur in Europa. Zu seinen herausragenden Kulturleistungen, zu denen keineswegs nur die buchförmige Dichtung zu zählen ist, gehören das Versepos Der Untergang der Titanic (1978), die Gründung der Kulturzeitschrift TransAtlantik (1980), der Gedichtband Das Wasserzeichen der Poesie (1985) in der Anderen Bibliothek, der Landsberger Poesieautomat (2000) und das Manifest Wehrt Euch! (2014) mit Regeln für jene, die sich den Übergriffen der digitalen Welt widersetzen wollen.
Dirk Niefanger